Ali (19): „Am Anfang fühlte ich mich wie auf einem anderen Planeten“

Ali war 16, als ihn seine Mutter aus Afghanistan wegschickte, weil sie um sein Leben fürchtete. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling kam er in das Jugendhilfezentrum Helenenberg und tat sich anfangs nicht nur mit der Sprache schwer. Inzwischen ist Ali 19, im ersten Ausbildungsjahr zum Elektroniker und Sprecher der Berufsschule. Trotzdem plagen ihn Sorgen.

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"Das Schlimmste an meiner Flucht war die Woche auf dem Meer. Das war gruselig. Das Schiff war ganz klein und sehr voll. Es waren etwa 140 Menschen an Bord, doch ich war allein. Ich hatte Angst, dass wir sinken und Haie mich in Stücke reißen. Ich sah nur Wasser und Himmel, ich wusste überhaupt nicht, wo es hingehen sollte.

Mein Stiefvater hatte mich umbringen wollen und meine Mutter und mein Onkel hatten mir bei der Flucht geholfen. Mein Onkel hat mich nach Masar-i-Sharif gebracht, mich an einen Mann übergeben und mir ein paar Euro in die Tasche gesteckt. Der Mann brachte mich nach Istanbul und dann auf das Schiff. In der siebten Nacht auf dem Meer kam die Polizei und brachte uns nach Italien. Aber ich wollte nach Hamburg. Ich hatte gehört, das soll eine große und schöne Stadt sein. Am Bahnhof wollte ich ein Ticket kaufen, doch mein Geld reichte nur bis Koblenz.

Am 3. Dezember 2012 bin ich in Deutschland angekommen. Der Anfang war sehr schwer für mich. Andere Sprache, andere Kultur, andere Menschen – ich fühlte mich wie auf einem anderen Stern. Für drei Monate wurde ich nach Trier geschickt und dann auf den Helenenberg. Da habe ich mich am Anfang mit den Regeln schwer getan. Wann wir raus dürfen, wann wir anmelden müssen, dass wir bei einem Freund übernachten wollen, und so. Aber ich hatte mich entschieden, mir hier ein Leben aufzubauen. Ich wollte den Hauptschulabschluss und eine Ausbildung machen und war sehr streng mit mir, weil ich Deutsch lernen wollte.

Meiner Meinung nach ist das Angebot auf dem Helenenberg das Beste, was Flüchtlinge in Deutschland für eine sichere Zukunft bekommen können, und ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit. Ich habe hier viel gelernt, bin reifer geworden, habe Hobbies und Freunde gefunden und ziehe in einem Monat in eine Wohnung in Trier.

Aber ich habe gerade sehr große Angst, alles zu verlieren, was ich mir aufgebaut habe, und doch noch abgeschoben zu werden. Meine Situation reicht vielleicht nicht zur Anerkennung als Flüchtling. Aber ich weiß, ich würde nicht mehr leben, wenn ich Afghanistan nicht verlassen hätte. Dort gibt es keine Sicherheit vor Menschen wie meinem Stiefvater und keine Strafe für sie.

Ich mache mir auch Sorgen um meine Mutter. Sie war mit meinem Onkel vor meinem Stiefvater in den Iran geflüchtet und hat mich manchmal angerufen. Aber jetzt habe ich seit vier Monaten nichts von ihnen gehört. Mein größter Wunsch ist, meine Mutter wiederzusehen und eine sichere Zukunft zu haben. Einen sicheren Job. Und an einem sicheren Ort zu sein."

Foto: Simone Utler

 

 

Die verlinkten Audio-Dateien wurden von Sprecherinnen und Sprechern des St. Michaelsbunds, München, eingesprochen.