Heiligenstadt: Ein Beginn mit großem Enthusiasmus

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Während sich die Salesianer aus der Südprovinz gezielt auf den Weg machten, um Möglichkeiten der Jugendarbeit in Sachsen zu erkunden, ging die Initiative im thüringischen Heiligenstadt von den Ostdeutschen aus. Die Norddeutsche Provinz hatte sich nach der Wende ohnehin dazu entschieden, erst einmal abzuwarten und nicht gleich euphorisch in den Osten zu gehen, so beschreibt es Pater Otto. Und auch als die Anfrage aus Heiligenstadt kam, waren die Salesianer in der Norddeutschen Provinz noch längst nicht auf den Gedanken gekommen, dort ansässig zu werden. „Wir wollten erst einmal gucken, wie wir dort vielleicht unterstützen könnten“, erzählt Pater Otto.

Die meisten Jugendeinrichtungen waren vom kommunistischen Jugendverband FDJ betrieben worden und mit der Wende geschlossen worden. Den jungen Menschen fehlte plötzlich ein Ort, an dem sie sich treffen konnten und viele lungerten deswegen auf den Straßen herum. In Heiligenstadt hatte sich eine Gruppe von Menschen zusammengetan, die einen Verein gründen und etwas gegen die Probleme der Jugendlichen vor Ort unternehmen wollte.

Nach der Anfrage ging dann alles Schlag auf Schlag. Im Mai 1991 reiste Pater Otto gemeinsam mit einem weiteren Mitbruder nach Heiligenstadt, eigentlich, um den Menschen vor Ort eine Absage zu erteilen. Dazu kam es jedoch nicht. „Wir wurden so überwältigt aufgenommen“, berichtet Pater Otto. Den Mitbrüdern seien sogar schon ihre Schlafzimmer präsentiert worden, so sicher sei man sich über das Zustandekommen der Zusammenarbeit gewesen. Konfrontiert mit dieser Begeisterung und diesem Engagement brachten die Salesianer es nicht übers Herz, den Menschen die negative Botschaft zu überbringen.

 

Die Arbeit beginnt

Nach der Rückkehr der beiden Mitbrüder war allen schnell klar, dass sie diesen Wunsch aus Heiligenstadt nicht abschlagen konnten. Da Pater Otto, der zu der Zeit Stadtseelsorger in Essen war, gebürtig aus dem Eichsfeld kam, lag für ihn die Entscheidung nahe, selbst rüberzugehen.

Vor Ort bauten die Salesianer die Jugendarbeit dann gemeinsam mit dem neu gegründeten Verein „Katholische Jugendsozialarbeit im Eichsfeld e.V.“ auf. Dem Verein übertrug die Stadt im August 1991 auch die Villa Lampe, die dann gemeinsam mit den Jugendlichen renoviert und umgebaut wurde. In den Augen von Pater Otto war das eine „sehr fruchtbare Arbeit“, in der sie schon eine enge Beziehung zu den Jugendlichen aufbauten. Für ihn begann die Jugendarbeit deswegen nicht erst im April 1992, als die Villa Lampe dann offiziell eröffnet worden ist, sondern bereits im Sommer 1991.

 

Erster Spatenstich für den Anbau mit prominentem Besuch.

Zu den Gästen gehört Angela Merkel, damals Bundesministerin für Frauen und Jugend.

 

Skepsis gegenüber dem Westen

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Im Eichsfeld gab es zumindest in Hinblick auf die kirchliche Sozialisation der Menschen eine Sondersituation. „Das Eichsfeld war eine katholische Insel“, sagt Pater Otto. Das hingegen bedeutete nicht, dass die Menschen dort nicht auch dieselbe Skepsis gegenüber den „Wessis“ hegten wie viele andere Ostdeutsche. „Aus rot wird schwarz“– das war laut Pater Otto die Befürchtung einiger, die nun Angst hatten, dass nach der Politik nun die Kirche das Ruder übernimmt. Für viele war zudem der Ansatz völlig neu, dass Kirche sich der Sorgen und Nöte von jungen Menschen annahm. In diesem Zusammenhang erinnert sich Pater Otto an die Worte eines Jungen, der in die Einrichtung kam und gleich betonte: „Ich komme nur hierher, wenn ihr mich nicht missioniert.“

Wichtig war dem Salesianer, deutlich zu machen, dass er den Menschen vor Ort nichts überstülpen wollte. Dass er zum Beispiel nicht gleich ein fertiges Konzept vorlegte, sondern dieses erst mit den Verantwortlichen vor Ort entwickeln wollte, brachte ihm vor allem die Sympathien vieler junger Menschen ein. „Dafür zeigten sie Dankbarkeit und engagierten sich selbst.“

„Die Leute sollten spüren, wer wir sind.“

Ganz bewusst entschieden sie sich zudem dafür, den Namen der Villa Lampe beizubehalten und nicht „Don Bosco“ hineinzubringen. „Wir wollten ein Stück weit neutral auftreten und nicht gleich mit dem Kreuzzeichen auf dem Dach.“ Die Leute sollten, so der Gedanke, „spüren, wer sie sind“.

Als großen „Paukenschlag“ betrachtet der Salesianer zudem die Gründung der Ordensniederlassung im August 1992. Damit haben sie in seinen Augen ein klares Zeichen gesetzt, es war wie ein klares „Ja“ zu den Menschen dort. Auch in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Bistum Erfurt hat sich dieses klare Bekenntnis als wichtiger Schritt erwiesen. Seit 2005 wird das Netzwerk der Villa Lampe über eine gemeinnützige GmbH durch die Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos und das Bistum Erfurt getragen, dessen Geschäftsführer Pater Otto ist.

4. September 1992: Die Salesianer Don Boscos errichten in Heiligenstadt eine Niederlassung des Ordens. Vor Ort sind Thomas Kewitz, Johannes Werges und Pater Otto.

 

Entwicklung bis heute

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Neben der offenen Kinder- und Jugendarbeit wurde die Arbeit der Villa Lampe seit Gründung immer weiterentwickelt. Zunächst erweiterte die Einrichtung ihr Angebot auf die umliegenden Dörfer und Gemeinden. Die Pädagogen der Einrichtung fuhren zum Beispiel mit einem Bus an die Bushaltestellen der Nachbarorte und boten eine Art „mobilen Jugendtreff“ an. „Das Angebot schlug ein wie eine Bombe“, sagt Pater Otto. Aufgrund dessen wurden in diesen Orten nach und nach stationäre Jugendclubs eröffnet, mittlerweile betreut die Villa Lampe rund 20 solcher Einrichtungen.

Auch die Schulsozialarbeit ist mittlerweile ein wichtiges Standbein der Villa Lampe. Dabei schien die Bewerbung in Anbetracht der Konkurrenz vieler anderer Bildungsträger zunächst aussichtslos, wie Pater Otto schildert. Mit ihrem Konzept konnte die Einrichtung den Landkreis schließlich doch überzeugen und bekam den Zuschlag. Heute ist die Villa Lampe sogar führend in der Schulsozialarbeit und einer der größten Träger in diesem Bereich.  

Hinzu kam zudem der Kinder- und Jugendschutzdienst, den die Einrichtung seit 1997 anbietet. Hier finden Kinder und Jugendliche, die Missbrauch erlebt haben, Hilfe und Unterstützung, ebenso werden zahlreiche Präventionsveranstaltungen durchgeführt. Ein weiteres wichtiges Standbein ist der Jugendmigrationsdienst Nordthüringen, der sich gerade in den letzten Jahren intensiv entwickelt hat und für den gesamten nordthüringischen Bereich zuständig ist.

 

Presseartikel

Text:RefÖA/Patrizia Czajor, Fotos: Villa Lampe