„Das System Schule ist für diese Jugendlichen nicht gemacht“

Veröffentlicht am: 20. Oktober 2021

Immer wieder musste Moritz Schedel die Schule wechseln. Schon in der Grundschule ging es los. Als er auch das zweite Gymnasium verlassen muss, erfahren er und seine Eltern von der Flex Fernschule Bayern, einem Projekt des Don Bosco Jugendwerks Bamberg. Mit ihr hat Moritz es bis zum Realschulabschluss geschafft.

Moritz Schedel möchte Abitur machen. Was für viele Jugendliche ein alltägliches Ziel ist, ist für den 17-Jährigen aus Memmingen alles andere als selbstverständlich. Er hat das Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Lernen wollte er immer. Aber schon in der Grundschule zeigt sich, dass das deutsche Schulsystem nicht für Moritz gemacht ist. Er benötigt mehr Unterstützung im Schulalltag als seine Mitschülerinnen und Mitschüler.

Zwar stellt das Jugendamt Moritz eine Schulbegleitung zur Seite, die ihn im Unterricht unterstützen soll. Doch die beiden harmonieren nicht. Das Verhältnis zu den Lehrerinnen und Lehrern an dem Gymnasium, das er zuletzt besucht, beschreibt er heute so: „Ein Drittel der Lehrer war neutral, ein Drittel mochte mich und hat mich gefördert und ein Drittel hat mich abgrundtief gehasst.“

Stress, der sich dadurch ebenso wie durch die für ihn sehr fordernde Situation im Klassenverbund bei Moritz anstaut, macht er immer wieder Luft durch „dumme Streiche“, wie er es heute nennt. Er verstopft Toiletten oder beschädigt Gegenstände wie eine Computertastatur. Mehrfach muss er die Schule wechseln.

Die jungen Menschen werden da abgeholt, wo sie sind

Als er 13 Jahre alt ist, muss er auch das zweite staatliche Gymnasium in Memmingen verlassen. Durch die staatliche Schulberatung in Schwaben erfahren Moritz und seine Eltern in dieser Situation von der Flex Fernschule in Bamberg.

Das Projekt richtet sich an junge Menschen, die aus verschiedensten Gründen sonst nicht beschult würden. Autismus, Sozialphobien oder chronische Erkrankungen sind nur einige Beispiele. Auch Jugendliche, die sich schwertun, konstant an einem Thema zu arbeiten, schaffen es mit der Flex Fernschule zum eigenen Schulabschluss.

„Das System Schule ist für diese Jugendlichen nicht gemacht“, betont Emil Hartmann, Gesamtleiter des Don Bosco Jugendwerks Bamberg, an dem der bayerische Ableger des Angebots angesiedelt ist. „Ich kenne keinen einzigen jungen Menschen, der nicht lernen will“, sagt er. Durch die Flex Fernschule würden die Jugendlichen „im umfangreichsten Sinn des Wortes da abgeholt, wo sie sind“, sagt er. 63 Schülerinnen und Schüler lernen derzeit mit ihrer Unterstützung in Bayern. 22 Jugendliche haben 2021 so erfolgreich einen Abschluss gemacht – an einer staatlichen Schule. Denn das ist auch für Flex Fernschüler Pflicht.

Prozentzahlen statt Noten

Diese Erfolge gelingen durch eine gänzlich andere Herangehensweise. Die Jugendlichen lernen daheim. Möglich wird das durch individuelle Absprachen mit den zuständigen Ämtern. Sind die Formalien geklärt, stellt die Flex Fernschule nach einem Einstufungstest zu Beginn individuell passende Lernmaterialien zur Verfügung, wie Lisa Kestel erklärt, Leiterin des Projekts. Die Materialien erhalten sie und ihre Kollegen aus der Zentrale der Flex Fernschule in Baden-Württemberg. Alles Weitere erfolgt aus einem Büro in der Bamberger Altstadt.

Wo ein Schüler steht, wird nicht in Noten gemessen, sondern in Prozentzahlen. Sie geben an, wie viel des für den Abschluss benötigten Stoffes er bereits gelernt hat. Es gibt keine klassischen Prüfungssituationen und auch das Lerntempo bestimmt jeder Jugendliche selbst. „Da nimmt die Flex den Druck raus“, unterstreicht Kestel.

Moritz Schedel bestätigt das: „Man fokussiert sich nur auf seine Prüfung und hat nicht zwischendurch diesen Leistungsdruck“, berichtet er. „Man kann sich mehr auf das Lernen und Aufnehmen des Stoffs konzentrieren.“ Moritz hat nach zwei Jahren mit der Flex Fernschule zunächst 2019 erfolgreich den Qualifizierenden Abschluss der Mittelschule gemacht, den sogenannten Quali. Ein Jahr später hat er auch den Realschulabschluss ohne Probleme geschafft, der höchste Abschluss, auf den die Flex Fernschule derzeit vorbereitet. Unterstützung erhielt er dabei auch durch die örtlichen Mittel- und Realschulen – ein eher seltener Glücksfall.

Nun ist sein Ziel wieder das Abitur. Aber er ist schon jetzt sehr froh über den Realschulabschluss. „Wenn ich die Flex nicht gehabt hätte, dann hätte ich unter Umständen nicht mal einen Quali“, sagt Moritz.

Text: Christoph Sachs; Fotos: privat (1), Christoph Sachs (2)

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