„Niemand ist ein hoffnungsloser Fall“

Veröffentlicht am: 21. Oktober 2021

Ein gefüllter Kühlschrank, ein warmes Bett und immer ein offenes Ohr: Das Kölner Projekt Work4You setzt im Umgang mit jungen Menschen in Not auf Niedrigschwelligkeit und Empathie.

Einen sicheren Platz zum Schlafen – das ist oft das erste, was junge Menschen bei Work4You suchen. So ging es auch Nele*. Als sie wegen ihrer Schwangerschaft die Ausbildung zur Kellnerin abbrechen musste, begann ihre Odyssee. Sie zog zu ihrer Mutter, zog zu den Eltern des Kindsvaters, zog in eine Mutter-Kind-Einrichtung - nichts funktionierte. Ihr Sohn kam in eine Pflegefamilie, Nele in eine WG, es folgten eine Notfallschlafstelle, ein Hotel und schließlich die Straße. Hinzu kamen Beziehungsprobleme, Drogen, Geldmangel.

2020 war Nele zum ersten Mal vom Jugendamt an das Programm Work4You von Don Bosco in Köln-Mühlheim verwiesen worden, nach einer Unterbrechung ist sie nun seit Oktober 2021 wieder hier. Die 21-Jährige hat im Souterrain des Zentrums ein eigenes Zimmer bezogen, weil sie aktuell die einzige Frau in der Notschlafstelle ist. 

Seit 1967 gibt es mit dem Don-Bosco-Club in Köln-Mülheim eine offene Kinder- und Jugendeinrichtung, seit 2016 ist in der ersten Etage des Hauses das Programm Work4You angesiedelt, das aus der Spur geratenen jungen Menschen eine Anlaufstelle bietet. „Wir haben hier erstmal keine eigene Intention und verlangen nichts. Wir machen die Tür auf, machen den Kühlschrank auf und sagen: Du bist herzlich willkommen. Was ist dein Thema? Womit können wir helfen?“, erklärt Martin Lichtenberg, einer der sieben Sozialpädagogen bei Work4You. „An die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Intentionslosigkeit unsererseits müssen sich die Teilnehmenden oft erst gewöhnen.“ Das seien Unterschiede zu dem Helfersystem, das sie bislang kennengelernt hätten.

Eine große Chance

Das 22-köpfige Team bietet ganz praktische Unterstützung, z.B. bei Meldeangelegenheiten, rechtlichen Fragen, familiären Konflikten oder der Suche nach einer Therapie. „Erst einmal ist niemand ein hoffnungsloser Fall“, sagt Lichtenberg. In der großen hellen Küche werden gemeinsam Mahlzeiten eingenommen; außerdem finden hier sowie im Kreativraum, im Werkraum und im Friseursalon die Angebote zur Tagesstrukturierung statt. Teilnehmende können lernen Fahrräder oder Türen zu reparieren, Haare zu schneiden oder Essen zuzubereiten. Zum Entspannen gibt es den Musikraum, einen Kicker, eine Dart-Scheibe, einen Box-Sack und Einräder.

Nele arbeitet am liebsten in der Werkstatt und hat nach dem Hochwasser in der Eifel bei Aufräumarbeiten geholfen. Work4You ist für sie eine große Chance: „Die Leute hier bemühen sich echt. Sie unterstützen mich Bewerbungen zu schreiben und Kontakt zu meinem Sohn zu bekommen.“

„Es müsste mehr Orte wie diesen geben“

Murat* ist seit einem Monat bei Work4You. Nach dem Berufskolleg wurde er nicht übernommen und flog zuhause raus. „Für mich ist das Beste, dass ich nicht mehr draußen schlafen muss, mich waschen kann und einen Alltag habe“, sagt der 23-Jährige, dem das Team zuerst dabei hilft, einen Pass zu bekommen. „Es müsste mehr Orte wie diesen geben“, sagt Murat. In seiner ehemaligen Heimatstadt Gelsenkirchen gebe es nichts Vergleichbares.

Seit dem Start von Work4You ist die Nachfrage ungebrochen groß. Bis zu 50 junge Menschen können zeitgleich im Programm sein, in der Notschlafstelle ist nur Platz für sieben. „Wir versuchen, niemanden abzuweisen, doch das geht auf Kosten des Personals. Und das Problem wird eher größer als kleiner“, sagt Lichtenberg, der sich eine gesicherte Finanzierung wünscht. Aktuell werden das Projekt und die Notschlafstelle vom Jobcenter, der Stadt und privaten Förderern getragen; die öffentlichen Gelder müssen jedes Jahr neu beantragt werden. 

Auch Nele hat einen Wunsch: „Die Politik sollte endlich die Augen aufmachen und wahrnehmen, dass es so viele junge Leute gibt, die Probleme haben und von der Gesellschaft schlecht behandelt werden.“

*Namen von der Redaktion geändert

Text und Fotos: Simone Utler

Zur Website des Projekts Work4You