„Ich fühle mich als Grenzgänger“
München/Bonn – Br. Lothar Wagner SDB ist seit 18 Jahren Missionar in Westafrika. Im Fokus seiner Einsätze stehen Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben. Der 52-jährige gebürtige Trierer arbeitet zurzeit als Streetworker und Gefängnisseelsorger in Monrovia, der Hauptstadt Liberias.
Fühlen Sie sich als Missionar?
Br. Lothar Wagner: Theologisch gesehen, ist jeder Mensch, der getauft ist, ein Missionar. Jeder Getaufte hat den Auftrag, die frohe Botschaft zu verkünden bzw. weiterzugeben. Ich halte mich nicht für einen Missionar im klassischen Sinne. Das klassische Bild des Missionierens ist mir unsympathisch.
Der Auftrag der Salesianer Don Boscos ist es, zu den benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu gehen. Ganz egal, wo auf der Welt, ob in Sierra Leone, Indien oder in Deutschland. Jedes Kind hat das Recht, die frohe Botschaft zu hören. Jesus selbst war ja Missionar und hat den Armen das Evangelium verkündet – in Wort und Tat. Das ist sehr wichtig! Wenn wir Armut sehen und Kinder, die auf der Straße leben, dann müssen wir handeln.
Was macht einen Missionar aus Ihrer Sicht aus?
Ein Missionar überschreitet Grenzen, er denkt allumfassend und baut Brücken. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“, diesen Satz aus dem Psalm 18 von König David finde ich sehr zutreffend. Wir müssen extrovertiert sein, Mauern und Grenzen überwinden, und zu den Brennpunkten gehen. Ich sehe mich deshalb eher als Grenzgänger, der über Mauern springt. Kreativität, Mut und angstfrei sein, sind auch wichtige Eigenschaften. Und aufmerksam sein: Die Aufmerksamkeit als höchste Form der Liebe.
Was sind die aktuellen Herausforderungen?
Eine große Herausforderung heute ist die „Digital Mission“. In den digitalen Medien sind wir noch zu schwach aufgestellt. Wir müssen da präsent sein, wo die jungen Leute sind. Wir müssen am Puls der Zeit sein, das ist für mich ein elementares Anliegen. Was ist die Not der jungen Menschen? Wir müssen genau hinschauen. Die jungen Menschen sind unsere Lehrer: Sie sagen, was wir tun müssen. Die jungen Menschen sind die Richtschnur unseres Handelns.
Auch Migration ist ein großes Thema. Hier ist mehr interkulturelle Kompetenz gefragt. Nehmen wir nur den Stadtbezirk Köln-Mülheim. Im Vergleich zu früher gibt es viel mehr Menschen aus verschiedenen Nationen. Wir müssen mit 150 Nationen interagieren und ihre Kulturen verstehen. Das verlangt viel Sensibilität und Kompetenz.
Wie kann man Gott hier erfahrbar machen?
Das funktioniert durch andere Menschen und Begegnungen. Der Dialog ist sehr wichtig. Als ich in Sierra Leone Gefängnisseelsorger war, wollten viele Gefangene wissen, warum ich für sie da bin. Ich habe ihnen erklärt, dass mich mein christlicher Glauben trägt. Sehr viele Gefangene hat das sehr beschäftigt und sie haben sich taufen lassen. Für mich ist in den Begegnungen mit dem Leid der jungen Menschen, in der Begegnung mit armen Menschen eine Gotteserfahrung möglich.
Was trägt Sie auch in schwierigen Situationen?
Wenn man sich für eine Mission gemeinsam auf den Weg macht. Wenn man die Begeisterung der anderen, Patres, Brüder, und jungen Menschen spürt, mitzugehen, um den Auftrag gemeinsam zu erfüllen. Auch viele Spender sind Teil dieser Mission. In Sierra Leone habe ich erlebt, wie Jugendliche, die auf der Straße gelebt haben, den Absprung geschafft haben. Ein junger Mann hat trotz Gewalt und Kriegserfahrungen eine Ausbildung gemacht und ist jetzt professioneller Sozialarbeiter geworden. Man bekommt sehr viel zurück, das gibt mir Kraft.
Interview: Kirsten Prestin
Zur Person
Bruder Lothar Wagner SDB, geboren 1973 in Trier, ist Mitglied der Salesianer Don Boscos und seit vielen Jahren in der Mission und Sozialarbeit in Westafrika tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf der Unterstützung von Straßenkindern, ehemaligen Kindersoldaten und benachteiligten Jugendlichen, u. a. durch den Aufbau und die Leitung von Kinderschutzeinrichtungen wie dem Projekt Don Bosco Fambul in Freetown, Sierra Leone. Derzeit arbeitet Wagner als Streetworker und Gefängnisseelsorger in Monrovia, der Hauptstadt Liberias.

