„Missionare sind Botschafter einer besonderen Art“
München/Bonn – Bruder Jean Paul Muller SDB ist seit September 2025 Missionsprokurator der Salesianer Don Boscos in Bonn. Im Interview spricht er über das heutige Verständnis von Mission, die Herausforderungen der Kirche, die Bedeutung von Gemeinschaft und darüber, warum Pater Rudolf Lunkenbein für ihn ein Vorbild gelebter Nächstenliebe ist.
Was bedeutet Mission für Sie – heute und in der Vergangenheit?
Br. Jean Paul Muller SDB: Aus der christlichen Grundhaltung heraus bedeutet Mission, die Lebenssituation von Menschen durch Erziehung und Ausbildung zu verbessern. In den Anfängen, auch noch vor 30 Jahren, war die Situation anders als heute. Die Missionare gingen als Priester und Seelsorger ins Ausland, in arme Länder, auch um die Sakramente zu spenden. Sie waren sehr angesehen in den unterentwickelten Ländern, galten als reich, da sie Krankenhäuser und Schulen bauten.
Heute stehen bei der Missionsarbeit vor allem soziale Dienstleistungen im Vordergrund. Das Fundament dieser Arbeit bleibt der christliche Glaube. Es gibt keine wirtschaftlichen Interessen. Wir wollen Hoffnung und Mut machen. Mission heute bedeutet, mit anderen einen Weg zu gehen – selbst im dunkelsten Moment.
Was zeichnet einen Missionar aus? Was muss er oder sie mitbringen?
Es zeichnet sie aus, dass sie uneigennützig sind, keine persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen haben und sich in den Dienst von etwas Höherem stellen wollen. Hier sehe ich zurzeit die größte Herausforderung für uns: Männer und Frauen zu finden, die sich bewusst um andere Menschen kümmern wollen, damit etwas Neues entstehen kann. Sie sind Botschafter einer anderen Art und unterwegs für eine andere Welt.
Missionare müssen einen inneren Drang haben, ihrer Berufung nachzugehen. Und sie müssen bereit sein, alles zurückzulassen, was sie besitzen. Auch hier in Bonn brauchen wir Missionare – Männer und Frauen, die aufzeigen, dass Christus da ist: durch Gemeinschaft, Zuwendung und Hilfe bei Alltagsproblemen und Sorgen. Ganz wichtig ist, dass sie eine positive Haltung zu den Menschen und zur Welt haben.
Wie kann man mehr Menschen für die Mission gewinnen?
Die Menschen, die uns unterstützen, tun das, weil sie Salesianer kennen. Sie erleben, wie diese anderen Menschen helfen. Es geht eigentlich immer um den Einzelnen: Was macht er oder sie für andere? Und das Gemeinschaftsgefühl ist wichtig. Das kann man besonders bei religiösen Festen wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen erleben. Über die Strukturen der Kirche kann man sicher diskutieren – entscheidend aber sind die Personen.
Die Frage ist ja: Warum haben die Menschen ein Problem mit dem Begriff „Mission“? Im Englischen funktioniert der Begriff „mission“ gut. Ich denke, viele blocken in Deutschland ab, weil sie das Gefühl haben, sie würden vereinnahmt. Auch ich blocke sofort ab, wenn ich dieses Gefühl habe. Ein Beispiel sind die früheren Massentaufen, die unter Zwang durchgeführt wurden. Heute gibt es sie nicht mehr, weil sie nutzlos waren – die Menschen haben sie nicht verinnerlicht.
Mission soll für mich Fenster öffnen, damit ich meinen Horizont erweitern kann – auch durch das Licht des Evangeliums. Und das Wichtigste: Mission bedeutet ein Angebot; ich entscheide, ob und wie weit ich das Fenster dazu öffne.
Warum sollte Pater Rudolf Lunkenbein seliggesprochen werden?
Pater Lunkenbein hat sich in den 1970er-Jahren als junger Salesianer für die Rechte der indigenen Bevölkerung der Bororo in Brasilien eingesetzt. Als junger Mann hat er die Ungerechtigkeit dem Bororo-Stamm gegenüber nicht ertragen. Die weißen Siedler wollten ihnen ihr Land wegnehmen. Trotz Drohungen hat er sich nicht einschüchtern lassen und für Gerechtigkeit gekämpft. Wenn er in der heutigen Zeit leben würde, hätte er viele Unterstützer in den sozialen Medien. Damals hat er allein gekämpft – und das mit seinem Leben bezahlt.
Wie gewinnt man junge Menschen?
Indem man ihnen Zukunftsperspektiven schafft. Junge Menschen haben bei den Salesianern Don Boscos Zugang zu Bildung und werden in Werkstätten ausgebildet. Dabei durchlaufen sie eine ganzheitliche Ausbildung, in der ihnen auch christliche Werte vermittelt werden. Es ist wichtig, ihnen etwas für ihr Leben mitzugeben. Dann ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sie später Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Und das stärkt auch unsere Demokratie.
Die Salesianer spielen eine bedeutende Rolle bei der Erziehung und Bildung junger Menschen. Uns muss bewusst sein, dass wir ein riesiges Potenzial haben, junge Menschen zu verantwortungsvollen Bürgern zu machen. Wir Salesianer müssen immer wieder reflektieren, ob das, was wir tun, im Sinne Don Boscos ist – und ob es noch zeitgemäß ist. Was braucht der junge Mensch heute? Wie kann er an der Gesellschaft teilnehmen? Auf viele, heute noch ungestellte Fragen müssen wir morgen die Antworten haben.
Interview: Kirsten Prestin
Zur Person
Bruder Jean Paul Muller SDB ist seit September 2025 Missionsprokurator in Bonn. Der gebürtige Luxemburger übernahm die Nachfolge von Pater Josef Grünner SDB. Bereits von 2003 bis 2011 war Br. Jean Paul Muller Leiter von Don Bosco Mission Bonn. Bis zum Frühjahr dieses Jahres war Br. Jean Paul Muller Generalökonom der Salesianer Don Boscos in Rom. Die Ordensgemeinschaft fördert derzeit in 137 Ländern Projekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Neben der Aufgabe in Bonn leitet der 67-jährige, studierte Heilpädagoge auch die Schweizer Missionsprokur der Salesianer Don Boscos in Beromünster.

